Wir zerstören unsere Lebensgrundlagen

Ein Kommentar von meiner Seite erübrigt sich –

Zitat: FalterMaily #963

Benedikt Narodoslawsky, 1.12.2022

Gestern argumentierte Florian Klenk an dieser Stelle, dass sich die Klimaschützer:innen der Letzten Generation mit ihren radikalen Aktionen in der Bevölkerung unbeliebt machen und dem Klimaschutz schaden. Er belegte das mit dieser Umfrage aus den USA, an der der renommierte Klimaforscher Michael E. Mann mitwirkte. Schon vor einer Woche kritisierte er den Protest als „phantasielos“ und schrieb, es ginge den Aktivist:innen mit ihrem Protest auch darum, sich auf Social Media moralisch zu erhöhen.

Ich glaube, Florian Klenk irrt. Seit langem beobachte ich die Klimabewegung und stelle fest: Sie dringt medial immer schwerer durch. 2019 haben die Massenproteste von Fridays for Future die Klimapolitik erstmals zum wichtigsten Anliegen in der politischen Debatte gemacht. Doch schon ein Jahr später verkam das Klima wieder zu einem Nebenthema. (Ich war Augenzeuge: Mein Buch über Fridays for Future erschien wenige Tage vor dem ersten Lockdown, das Thema war in der Öffentlichkeit schlagartig verschwunden.)

Pandemie, Ukraine-Krieg, Energienot, Teuerung – all das sind drängende Krisen, die die existenziellste von ihnen überlagert haben. Dabei blieb die Klimabewegung über all die Zeit aktiv. Vor einem Monat organisierten Klimaschützer:innen die Mobilitätswende-Aktionstage, österreichweit gab es 25 Aktionen. Klimaschützer:innen besetzten mehrere Unis, demonstrierten gegen die Wirtschaftskammer, am Wochenende ging Fridays for Future wieder für mehr Klimaschutz auf die Straße. Aber haben Sie all das auch mitbekommen?

Wovon Sie, Ihre Freund:innen und Nachbar:innen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit jedenfalls alle gehört haben: Mitte November bespritzten Aktivisten der Letzten Generation im Wiener Leopold-Museum Gustav Klimts „Tod und Leben“ mit einer Erdöl-ähnlichen Flüssigkeit (das Gemälde war hinter Glas, es ist ihm nichts passiert). Anfang dieser Woche klebten sich die Aktivist:innen in Linz, Graz und Innsbruck auf die Straße und blockierten den Verkehr.

Der Weltklimarat veröffentlichte heuer seinen aufrüttelnden Bericht. Die Kurzfassung lautet, wir vernichten gerade unsere Lebensgrundlagen und verspielen damit die Zukunft unserer Kinder. UN-Generalsekretär António Guterres hielt daraufhin eine scharfe Rede, die ich für historisch halte. Doch weder die Demos von Fridays for Future, noch die Wissenschaftler:innen und die Rede des UN-Chefs hatten die Kraft, die Klimapolitik hierzulande wieder ins Zentrum der politischen Debatte zu rücken. Aber der Letzten Generation gelang es.

Plötzlich bekam ÖVP-Umweltsprecher Johannes Schmuckenschlager in der wichtigsten Diskussionssendung des Landes einen roten Kopf, weil er erklären musste, warum die Volkspartei das Klimaschutzgesetz blockiert. Und die Grüne Vizeklubchefin Olga Voglauer musste sich dafür rechtfertigen, warum die türkisgrüne Koalition die einfachste, billigste, sozialste und schnellste Maßnahme, das Klima zu schonen, noch immer nicht umgesetzt hat – nämlich das Tempolimit auf der Straße zu senken.

Es geht den Aktivist:innen nicht um Beliebtheitswerte oder um eine moralische Erhöhung auf Social Media, sondern um politischen Druck und darum, aufzurütteln. Die Sonntagskrone – das auflagenstärkste Blatt des Landes – brachte Klimaaktivist Florian Wagner auf die Titelseite. „Wir wollen 10 bis 15 Prozent der Menschen die Dringlichkeit der Situation vor Augen führen und sie dafür gewinnen, aktiv zu werden“, erklärte Wagner im Krone-Interview. Die Letzte Generation verkörpert authentisch jenen Frust, den viele Menschen im Land teilen. Denn die Österreicher:innen spüren die Klimakrise längst am eigenen Leib. Noch vor wenigen Wochen liefen wir im kurzärmeligen Gewand herum – es war der wärmste Oktober der Messgeschichte, die bis zur Zeit Kaiserin Maria Theresias zurückreicht (1767). Im Sommer stöhnten Menschen unter der Hitze, mehr als 200 überlebten sie nicht. Unwetter überzogen das ganze Land, Seen und Flüsse trockneten aus, Felder verdorrten, Ernten blieben aus. Weil Wasser und Lebensmittel knapp werden – und das mitunter große Fluchtbewegungen nach Europa auszulösen droht – sieht das Bundesheer im „rapiden Klimawandel“ mittlerweile in seiner Sicherheitsanalysedie größte Gefährdung des Landes. Was wir heute spüren, sind die Folgen einer 1 Grad wärmeren Welt. Derzeit steuern wir auf 2,7 Grad bis zum Ende des Jahrhunderts zu.

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